Podiumsdiskussion in Pohlheim mit Erika Steinbach, Jaklin Chatchatdorian und Sanherib Ninos, ausgerichtet von der Föderation Suryoye Deutschland e.V. – HSA und dem Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland e.V. Wann ist ein Genozid ein Genozid? Das Thema Flucht und Vertreibung zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Völker und Religionsgemeinschaften. Doch wann kann und darf man von einem Genozid sprechen? So spricht man inzwischen bei den Gräueltaten an den Jesiden, begangen durch den IS, von einem Genozid. Die Verbrechen an der indigenen Bevölkerung in Ruanda wurden als Genozid anerkannt. Doch was hindert die Staatengemeinschaft immer noch daran, alle vernichtenden Feldzüge vor dem Zweiten Weltkrieg, als Genozide zu bezeichnen? Und wenn man damit beginnt, wo endet das Ganze dann? Müssten wir dann nicht zurück bis zu den Eroberungsfeldzügen der Spanier im heutigen Südamerika oder den Kriegen des Römischen Reiches gehen? Die Genozidforschung ist ein vergleichsweise noch junges Forschungsgebiet, welches Strukturen, Phänomene, Mechanismen, Kategorien, Abläufe und Bedingungsfaktoren miteinander vergleicht. Die Grundlage für die Definition und die Anerkennung eines Genozid, bildet Artikel II der Deklaration der UN-Völkerrechtkonvention von 1948, deren 19 Artikel von über 20 Staaten ratifiziert wurden, wie Sanharib Ninos, Historiker mit Schwerpunkt „Gewalt und Genozid“ erläuterte. Artikel II der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes Demnach ist Völkermord „eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: Die Vergangenheit ruhen lassen und einen Neubeginn wagen? Zwischen den Wirren des Ersten Weltkrieges 1915 - 1918 tobte ein verheerender Krieg um die Überreste des Osmanischen Reiches, so Simon Jacob, Friedensbotschafter des Zentralrates Orientalischer Christen in Deutschland und Leiter der Podiumsdiskussion. Armenische Separatisten schienen dabei den Schulterschluss mit dem damaligen Zarenreich zu suchen, wogegen die Jungtürken, mit Kenntnisnahme des Deutschen Kaiserreiches, mit der Deportation der nichtmuslimischen Bevölkerung begannen. Der Nachfolgestaat, die Türkei, sah darin eine Notwendigkeit, um sich vor dem Feind zu schützen und spricht von einigen 100.000 Opfern. Aus diesem Grund stemmt sich die Türkei mit aller Macht gegen die Anerkennung des Völkermordes, obwohl auch von ihr 1950 die Völkerrechtskonvention ratifiziert wurde. Die Nachfahren derer, die überlebt haben, Armenier, Aramäer, Assyrer, Chaldäer, Pontos-Griechen, Jesiden… sprechen von einem Massenmord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. „Sollten wir die Vergangenheit nicht endlich ruhen lassen und einen Neubeginn mit der Türkei wagen, gerade der Menschen wegen, die doch nicht mit den Verbrechen der Jungtürken und ihren kurdischen Handlangern in Verbindung gebracht werden können?“, so lautete seine Frage an die ehemalige Vorsitzende des Zentralrates der Armenier, Jaklin Chatschadorian. Versöhnung erfordert Reue „Versöhnung erfordert das Eingeständnis, dass etwas schiefgelaufen ist“, so die ehemalige Vorsitzende des Zentralrates der Armenier. Es erfordere Reue, Demut und eine Bitte um Vergebung, ohne die eine Versöhnung nicht möglich sei. Die Straftat werde jedoch in der türkischen Gemeinschaft sowohl in Deutschland als auch in der Türkei geleugnet. Zunächst einmal habe die heutige Generation nichts mit den Verbrechen ihrer Väter und Vorväter zu tun. Sie trage aber die Verantwortung, so wie sie jeder trage, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen. Man könne sie aber nur tragen, wenn man davon berichtet. Jeder, der heute aktiv dieses Verbrechen von damals leugnet, lade neue Schuld auf sich. Der Völkermord sei der Gipfel eines Hasses, der sich über Jahrhunderte hinweg aufgebaut habe. Er habe nur geschehen können, weil man sich jemanden als Feindbild herausgenommen und ihn immer weiter degradiert habe. Durch die Entmenschlichung wurde die Hemmschwelle zur Gewalt überwunden, ähnlich wie es beim Holocaust der Fall war, und gipfelte im Völkermord 1915. Völkermord an der deutschen Zivilbevölkerung Die wenigsten wissen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die größte Massenvertreibung der Weltgeschichte in Zentraleuropa stattfand. UN-Völkerrechtsberater Felix Ermacora bezeichnet sie sogar als Völkermord. 12-14 Millionen Deutsche wurden damals aus ihrer angestammten Heimat östlich der Oder-Neiße Linie, aus Russland oder dem Balkan vertrieben. Weit über eine Million Todesopfer waren zu beklagen. Gerechtfertigt wird dies mit den Gräueltaten und Massenvernichtungen Nazi – Deutschlands vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Legitimieren die Verbrechen derer, die den Krieg begonnen haben, weitere Verbrechen? Es gibt keine Kollektivschuld Eine ganz klare Antwort darauf gab Erika Steinbach, Mitglied des Deutschen Bundestags, die Flucht und Vertreibung am eigenen Leib zu spüren bekam, als sie als junges Mädchen aus ihrer Heimat Ostpreußen fliehen musste. „Es gibt keine Kollektivschuld, keine Sippenhaft, sondern eine individuelle Schuld“ und diese müsse bestraft werden, so Steinbach. Völker oder Religionen kollektiv zu bestrafen sei bereits seit der Haager Landkriegsordnung, welche als historischer Ausgangspunkt des gegenwärtigen humanitären Völkerrechts gesehen werden kann, verboten. Unterliegt die Anerkennung eines Genozids den politischen und wirtschaftlichen Interessen? Wenn man sich die aktuelle Situation vergegenwärtigt, muss man sich fragen, ob politische und wirtschaftliche Interessen die Interessen der Menschlichkeit überwiegen und ob es nicht genau dieses Denken war, welches einen weiteren Genozid im Jahr 2015 an den Jeziden im Irak, unter den Augen der Welt, zugelassen hat. Im Namen der HSA besuchte der Vorsitzende Saliba Joseph und der Journalist Yawsef Beth Turo Anfang Mai die krisenhaften Regionen im Libanon und Syrien, um sich ein Bild vor Ort zu machen, Akkuthilfe zu leisten, aber auch Brennpunkte und Projekte zu eruieren, die langfristig Unterstützung benötigen. Im Rahmen der Podiumsdiskussion wollten wir den Fokus mit einer Präsentation über diese Reise von der Vergangenheit auf die Gegenwart richten. Herr Yawsef Beth Turo ging mit einer bewegenden und informativen Präsentation auf die politische aber auch menschliche Situation der Menschen und besonders der Suryoye ein. Hoffnung auf Frieden und politische Teilhabe verspricht ein Autonomiezonen-Modell, analog zur Schweiz. In dieser föderalen Gesellschaftsordnung könnten alle drei Völker -Suryoye, Syrer und Kurden- sowie die Sprachen und Schriften gleichberechtigt nebeneinander leben. Die Menschen in Nordsyrien sind zuversichtlich. Die anwesenden Gäste sind sich einig, wir aus der Diaspora können und müssen sie unterstützen. Daniela Hofmann
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Föderation Suryoye Deutschland - HSA